Lost Places – Berlin der 90er und Techno – ein Zusammenhang?

Im letzten Beitrag Lost Places – die Faszination des Vergangenen? ging es um die Faszination und die Aura, die von Lost Places ausgeht. Und dass das Erkunden von Lost Places nicht zwangsläufig mit dem Fotografieren zusammenhängt – aber in weiten Teilen doch eine Beziehung besteht.

Was die nächste Frage aufwirft: Gibt es einen Zusammenhang von “Lost Places” und “Musik & Kultur”?

An Berlin nach der Maueröffnung gedacht:  plötzlich standen, wie aus der Zeit gefallen, unzählige Lost Places als Club-Location und kulturelle Freiräume zur Verfügung. Welchen Einfluß hatten diese auf Kultur und Musik?

Lost Places – die Keimzelle neuer Clubs und Freiräume
Ob der Tresor (mit seinen alten Tresorräumen im Keller des früheren Wertheim-Kaufhauses in der Leipzigerstraße), das E-Werk (altes Umspannwerk, Wilhelmstraße), Friseur, WMF, Planet, Bunker oder Walfisch.

bilderausstrom
DJ Sven Väth 1993 – bilderausstrom

Viel war möglich im Berlin der Wendezeit. Teilweise nur temporär geduldet, durch unklare Besitzverhältnisse und Behördenregelungen „erobert“, öffneten sich plötzlich geheimnisvolle Türen, Gänge, Hallen, Kaserne und Fabrikgelände.

Die Räume boten Platz für ein neues, experimentelles und unreguliertes Musik- und Kulturerlebnis – Techno (bzw. in Berlin zur Anfangszeit oft auch Tekkno) war geboren.

Lost Places im Kontext von Zeit und Geschichte
Gerade rund um den damals brachliegenden Potsdamer Platz mit seinen zwei aufeinanderfolgenden Diktaturen, die sich hier in direkter Nachbarschaft negativ ausgetobt hatten (ob Reichskanzlei oder Todesstreifen) war das Alte, Eingeschlafene, Vergessene plötzlich zeitlich, räumlich erleb- und im neuen Kontext in unmittelbarer Nachbarschaft zur Treuhandanstalt (Anmerkung: im alten Reichluftfahrtministerium gegenüber von Tresor und E-Werk untergebracht) spürbar.

Techno_Mock_Flyer

Überall dem hing der Geruch von Lost Places (s. Beitrag). Trockennebel und Bässe und Stroboskoplichter lieferten den passenden Licht- und Klangteppich zur sich ändernden Zeit. Bei jedem Besuch domninierte die erwartungsvolle Vorfreude das Unbekannte und Unreglementierte zu Erleben.

Dokumentation & Fotografie
Wenig Bilder sind davon geblieben. Vielleicht weil das Fotografieren noch analoger war? Vielleicht aber auch – wie die kürzlich im Berliner C/O gezeigte Ausstellung „no photos on the dance floor“   verdeutlichte:  Fotografieren & Filmen nicht unmittelbar im Fokus stand.

tresor

Das reine Dokumentieren war nicht zwingender Teil der Techno-Kultur. Frei nach dem Motto: “what happened in the club –stays in the club“. Das Erlebnis fand räumlich und zeitlich begrenzt stattfand. Eine Dokumentation konnte mit dem Entdecken und der Fülle an sich bietender Locations – zumindest anfangs – nicht mithalten.

Die Lost Places der Wendezeit eröffneten an vielen Stellen Freiräume für neue Kultur-, Musik- und Kunstformen. Zwischen zwei sich entdeckenden Staaten, mitten in einer noch nicht zusammengewachsenen Stadt, mit all ihren geheimnisvollen Locations, machten diese die Zeit zu einem einmaligen, nicht wiederkehrenden Eldorado für Entdecker.

Und die Frage bleibt im Raum stehen – ermöglichten gerade diese Lost Places und ihre Freiräume das Entstehen der Technokultur der frühen 90er?

Empfehlenswerte Bücher zum Thema

 

4 thoughts on “Lost Places – Berlin der 90er und Techno – ein Zusammenhang?

  • 15/02/2020 at 12:35
    Permalink

    Berlin ist doch ein Mekka für Lost Places. Der Tempelhofer Flughafen ist flächenmässig wohl eines der größten Gebäude Europas, da mehrfach unterkellert und noch nicht komplett durchforstet. Es gibt viel zu tun und zu sehen. Oder der Bunker am Gesundbrunnen, oder, oder, oder

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