Was steht bei der Fotografie im Fokus? Wie entsteht ein gutes Bild? Geht es um primär um Technik oder doch vielmehr um visuelle und konzeptionelle Fähigkeiten? Und welche Rolle spielt dabei die zunehmend computergestützte, intelligente Fotografie? Der britische Fotograf, Experte und Autor Michael Freeman im Interview mit Bilderausstrom.com.
Michael, vielen Dank für Deine Zeit.
Covid-19 derzeit irgendwie nach wie vor doch in allen Köpfen. Wie sieht ein normaler Tag für Dich im Moment aus? Wie wirkt sich die Pandemie auf Dein Leben als Profi-Fotograf und Autor aus?
Da sich die meiste Zeit meiner Karriere auf dokumentarische Reportagen konzentriert hat, über Jahrzehnte überwiegend für Magazine, umfasste mein durchschnittlicher jährlicher Reiseplan für das Ausland 7 Monate – in der Regel auf mehrmonatigen Reisen.
Nun in den letzten anderthalb Jahren gar nicht mehr zu reisen, war bemerkenswert. Allerdings war mein Leben als hauptsächlich redaktioneller Fotograf immer unvorhersehbar, und es gab kein Konzept für einen “normalen Tag“.
Ich hatte das Glück, dass letztes Jahr mein Verleger mit der Planung einer fünfteiligen Buchreihe an mich herangetreten ist. Die ersten beiden Titel sollen im nächsten Jahr erscheinen. Bücher zu schreiben ist sehr zeitaufwendig und intensiv, und es dauert im Grunde ein Jahr, um einen Titel, wie ich ihn mache, zu produzieren. Die neue Serie wird ‘Michael Freeman on…’ heißen und die ersten beiden Titel sind “…on Composition” und “…on Light & Shadow’, ich bin also weiterhin sehr engagiert in diesen Bereichen.
Darüber hinaus bin ich beratend ich Projekten für einen Big-Tech Player (das Unternehmen darf ich leider nicht nennen) zum Thema Computational Photography (computergestützte Fotografie) tätig. Das hat auch viel meiner Zeit in Anspruch genommen. Das ist einerseits für mich absolut neuer Bereich, der wiederum andererseits aber ganz gut zu den Dingen passt, über die ich schreibe. Im Grunde können Software-Entwickler für Bildbearbeitungs-Software so ziemlich ziemlich alles mit Bildern anstellen, was von der Aufnahme bis zur Post-Production und Bearbeitung notwendig ist. Dieser Prozess rückt immer näher zusammen und verschmilzt, stellt aber gleichzeitig die grundlegende Frage, wie Fotografien aussehen sollten. Hier komme dann ich ins Spiel, mit angewandter (quantifizierter) Ästhetik und dem Versuch Dinge wie Licht, Belichtung, Komposition, Farbe mit Zahlen und Werten zu versehen. Das ist wirklich ein sehr interessanter Aspekt und einige der Früchte & Ergebnisse davon werden nächstes Jahr Teil meiner neuen Büchern sein.
Ich habe gesehen, dass Du an mehreren Universitäten und Hochschulen Lektor sowie als Autor für Online-Schulungen tätig bist. War es ein große Umstellung für Dich, nun gezwungenermaßen von zu Hause aus zu arbeiten? Und mit der jeweiligen Zielgruppe ausschließlich virtuell zu kommunizieren?
Du lässt das großartiger und hauptberuflicher klingen, als es ist, Danke. Aber ja, ich halte Vorträge an Universitäten und Hochschulen, zunehmend in China, wo das Interesse an Fotografie massiv ist. Wenn man jedoch bedenkt, dass alle meine Vorträge als Fotograf immer sehr bildlastig sind, bei denen das Publikum in der Regel immer mehr auf die Bühne und Leinwand blickt als auf mich, der daneben steht, habe ich die Vorträge schon immer akribisch im Vorfeld vorbereitet. Der Übergang zu Videos und Online-Vorträgen hat daher eigentlich nahtlos stattgefunden. Das Virtuelle ist einerseits für alle Beteiligten praktischer, andererseits verpasst man natürlich die Begeisterung eines großen Live-Publikums das vor einem sitzt. Die Online-Schulungen, für die Website „Learning with Experts“ waren aber ebenso schnell angepasst.
Du hast Bücher wie „The Photographer’s Mind“ und “The Photographers Vision“ veröffentlicht. Die scheinbar einen ganz anderer Ansatz verfolgen. Was macht deine Bücher aus? Was ist Dir dabei wichtig zu vermitteln?
Mir „einem völlig anderen Ansatz“ meinst Du vermutlich im Gegensatz zu den meisten anderen Bücher über Fotografie, richtig? Es ist mir bereits bei meinem ersten Buch, als ich es geschrieben hatte, aufgefallen, dass es einen wesentlichen Unterschied macht, wenn ein Profi-Fotograf seine Erfahrung und sein Spannungsfeld mit einfließen lässt – als wenn ein Autor schreibt, der keine direkte, und unmittelbare Verbindung zur Fotografie hat.
Insbesondere der technischen Seite wurde aus meiner Sicht viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Das hat sich leider nicht geändert. Sicherlich ja, man sollte alles über die Werkzeuge wissen, mit denen man arbeitet, egal ob ein Fotograf, Schreiner oder Musiker ist, aber sie sind nur als Mittel zum Zweck da. Sie sind nicht der Dreh- und Angelpunkt. Und auch die diesjährigen neuen Kameramodelle werden niemanden zwangsläufig helfen, per se bessere Bilder zu machen.
Früher habe ich ein wenig über das Technische geschrieben, aber jetzt überlasse ich diese Rubrik lieber den technischen Redakteuren, die das besser machen, als ich es könnte. Ich spreche immer von drei Skill-Sets in der Fotografie, die man beherrschen und an denen man arbeiten sollte: die technischen Fähigkeiten, die visuellen Fähigkeiten und die konzeptionellen Fähigkeiten.
Ich konzentriere mich dabei lieber auf die visuellen und konzeptionellen Fähigkeiten, wie Komposition, Lichtgestaltung und der Zielsetzung, was das eigentliche Ergebnis deines Bildes sein soll. Dies fordert einen oft ziemlich heraus und ist aus meiner Sicht oft der viel wichtigere Aspekt. Natürlich lege ich, wie jeder Profi, außerordentlichen Wert auf die technische Seite, ob Hardware oder Software. Aber dies ist nur die gründliche Vorbereitung auf das Hauptereignis, bei dem es darum geht, zu fotografieren und sich mit der Welt vor der Kamera unmittelbar auseinanderzusetzen.
Das alles bedeutet, dass ich nicht für alle schreibe. Ich schreibe für Leute, die sich sehr für das Thema Fotografie interessieren und von ihm begeistert sind . Aus meiner Sicht gibt es keine sinnvolle Trennung zwischen „Anfänger“ und „Fortgeschrittene“, weil ich über Fähigkeiten und Ideen schreibe, mit denen sich jeder identifizieren kann,. Wichtig ist dabei begeistert zu sein und das Gefühl haben, Bilder machen zu MÜSSEN.

Ein neuer Ansatz, Komposition zu lernen: Diagramme, Illustrationen und Rückbauten offenbaren den inneren Mechanismus jeder Aufnahme. Sowohl eine hervorragende Einführung in die fotografische Komposition als auch eine erfrischend neue Perspektive für fortgeschrittenere Fotografen Konzentration auf visuelle und ästhetische Prinzipien, ohne in technischen Erörterungen über Ausrüstung stecken zu bleiben
Um als Fotograf faszinierende Bilder machen zu können, brauchen man Fähigkeiten in mehreren Bereichen – nicht nur in der Kameratechnik. Dieses Buch konzentriert sich in erster Linie darauf, visuellen Fähigkeiten zu schulen und zu verbessern: Was macht eine gute Fotografie aus? Was ist ein stimmiger Bildaufbau?
Technologie und sogar KI entwickeln sich immer weiter und KI wird Teil von Kameras und der Fotografie im Allgemeinen. Im Gegensatz, in Deinen Büchern beschreibst Du „Sehen“, „Licht“ und „Grafik“ als grundlegende Elemente zum Erstellen einzigartiger Bilder. Was ist wirklich der Schlüssel zu kreative Fotografie? Und ist die Technologie vielleicht sogar ein limitierender Faktor für Kreativität?
Wundersamerweise steht das, was ich beschreibe, nicht „im Gegensatz“. Wie gesagt, ich arbeite für Teams im Computational Bereich (was übrigens die technische Zukunft jegliche Fotografie sein wird, auch wenn sie derzeit auf Smartphone-Kameras beschränkt ist). Und es geht dabei um das das rigorose Analysieren und Nachdenken über „Sehen“, „Licht“ und die „Grafik“ eines Bildes.
Unklarheit und fehlende Trennschärfe ist dabei nutzlos, und ich möchte die Leute dazu ermutigen, zu verstehen, was dazu beiträgt, Fotos sinnvoll, effektiv und manchmal sogar zu mächtig zu machen.
Beim ersten Titel der neuen Buchreihe habe ich beispielsweise eines der weltweit führenden Unternehmen für menschliche Verhaltenssoftware iMotions in Anspruch genommen. iMotions hat dabei untersucht, wie Betrachter Fotos im Detail ansehen, und zu verstehen, wie ein Fotograf auf intelligente Art und Weise versuchen könnte, dies zu beeinflussen. Faszinierende Ergebnisse.
Der Schlüssel zur kreativen Fotografie liegt darin, sich mit diesen konzeptionellen und visuelle Fähigkeiten auszustatten, um Bilder zu verfolgen, die DICH letztendlich glücklich machen. Und NICHT Bilder, die andere kopieren und schon gar nicht, die müden alten Rezepten und gedankenlosen Klischees folgen. Ich hoffe, nie wieder von der „Drittelregel“ zu hören – was für ein dumme und wenig originelle Idee.
Leider werde ich wahrscheinlich weiter davon hören, aber ich tue mein Bestes, um eine frischere Denk- und Herangehensweise über Bilder anzustoßen. Wie oben bereits zur Technologie teilweise beantwortet, ist Technik im Grunde dazu da, das Fotografieren einfacher und effizienter zu machen. Und wenn sie diese Aufgabe erfüllt und sich mit der Zeit verbessert, dann brauchen wir dies. Der Motor in meinem BMW ist ein ausgezeichnetes Stück Ingenieurskunst, einfach deshalb weil er funktioniert und ich Fahren kann.
Du bist in deinem Leben viel gereist und hast viele Geschichten über Asien und Afrika veröffentlicht. Was war eines Deiner Lieblingsziele und warum?
Ehrlich gesagt habe ich keinen direkten Favoriten, denn wo immer ich zum arbeiten bin gilt dem Ort (fast immer) mein volles Augenmerk. Und meine Besessenheit ist unmittelbar damit verbunden, wie erfolgreich sich meine Bilder aufbauen. Mein Shootings bestehen zeitlebens aus Projekten, die manchmal eine Woche dauern, andere wiederum ein paar Jahre.
Außerdem ist das, was einmal war, nie mehr dasselbe. Wenn ich also sagen würde, dass Nordthailand einer meiner Lieblingsorte wäre (was es für einige Jahre in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren auch war), dann ist dies jetzt nicht mehr so, und ich habe auch nicht vor, zurückzukehren.
Wie der britische Schriftsteller L.P. Hartley schrieb: „Die Vergangenheit ist ein fremdes Land; dort machen sie die Dinge anders.“
Ein weiteres Beispiel, das wiederum in einer bestimmten Zeit fest verankert liegt, war Angkor, Kambodscha, in den späten 1980er Jahren. Seit der Übernahme durch die Roten Khmer war es 20 Jahre lang isoliert geblieben. Aus politischen Gründen war es zu der Zeit äußerst schwer zu erreichen. Aber wenn man einmal dort war, und ich besuchte es mehrmals, war es aufregend und romantisch zugleich.
Es gab keine anderen Besucher aus dem Westen. Die Tempel waren überwuchert und ich hatte alles vor Ort für mich alleine. Und es würde seltsam klingen, es als Lieblingsort und Favorit zu bezeichnen, da der Bürgerkrieg noch andauerte.
Einmal feuerten die Roten Khmer eine Rakete auf das Hotel ab, in dem der Texter und ich als die einzigen westlichen Gäste abgestiegen waren und die mein Fenster zertrümmerte. Aber es war eine einzigartige Kombination aus Ort und Zeit, und ich habe erfolgreich Bilder gemacht, für mehrere Magazinbeiträge und ein komplettes Buch.
Welche Projekte hast Du als nächstes in diesem Jahr geplant?
Ein paar Shootings sind in China angesetzt – aber hier werde ich wohl warten müßen bis alles „back to normal“ ist.
Und setzen wir mal voraus Covid-19 wäre Mitte/Ende 2021 vorbei – irgendwelche Pläne was Du als erstes machen würdest?
Einen Flug nach Shanghai.
Michael, vielen Dank für Deine Zeit! Alles Gute und „stay safe“!
Danke Dir, das wünsche ich Dir auch!

Michael Freeman,
ist ein international bekannter britischer Fotograf und Autor, der sich auf Reise, Architektur und asiatische Kunst spezialisiert hat. Er arbeitet für renommierte Magazine wie National Geographic und TimeLife und hat mehr als 40 Fotografie-Bücher verfasst.
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